Der Autor muss derzeit in Folge einer Augenoperation für etwa eine Woche rund um die Uhr eine Sonnenbrille tragen. Und ich kann Ihnen, liebe Leser, einen sehr ernstgemeinten Ratschlag mit auf den Weg geben: Sollten Sie jemals ebenfalls in die Verlegenheit einer Augenoperation geraten, stellen Sie sicher, dass der Eingriff im Sommer durchgeführt wird.
Kaum etwas fühlt sich bescheuerter an, als im Winter bei diesigem Nieselwetter mit Sonnenbrille einen Supermarkt zu betreten. Ich meine, das sieht schon tagsüber mal mindestens nach „Hängengeblieben auf dem Pappen-Trip damals, Loveparade 97“ aus, aber im Winter ist fast nie tagsüber, sondern es ist eigentlich immer stockdunkel. Und wer auch noch in pechrabenschwarzem Abendlicht mit Sonnenbrille durchs Wohngebiet streift, ist bei wohlmeinender Interpretation der Mitbürger ein klarer Fall von Dachschaden, bei weniger wohlmeinender der sinistre Kinderschänder von nebenan.
Mal ganz abgesehen davon, dass man im Dunkeln mit Sonnenbrille natürlich auch nahezu blind ist – was die ursprüngliche Intention der Augen-OP auf immerhin schelmisch ironische Weise ad absurdum führt.

Warum die Brille?, werden Sie sich vielleicht fragen.
Nun, die Augen sollen heilen, und zu diesem Behufe begeben sie sich in eine Art Freundin-mit-Migräne-Status:
sie brauchen Ruhe, ganz viel Ruhe, und sie möchten für einige Tage von nichts und niemandem berührt werden.

In erster Instanz hilft die Brille gegen die größte, ewig lauernde Gefahr von allen: die eigene Dummheit.
Also etwa, dass man sich aus purer Gewohnheit oder Langeweile doch mal eben genüsslich in den Augen reibt. Oder bei einem gewagten Eigenversuch in Sachen Multitasking, (z.B. gleichzeitig Kaffee kochen, Salat würzen und Geschirr wegräumen, während man in Gedanken den Radionachrichten lauscht) mit dem Gesicht gegen die offen stehende Tür des Küchenschranks semmelt.

Die Brille fungiert in zweiter Linie als Schuztschild gegen die omnipräsenten Gefahren des urbanen Alltags: Tauben in U-Bahn-Schächten, die einem starfightergleich geradewegs ins Gesicht fliegen, Primark-Tüten im Dutzend schleudernde Studentinnen im vorweihnachtlich berstenden Einkaufszentrum,
13-jährige Jungs, die einem China-Kracher in die Fresse werfen – all jene Großstadtnormalitäten eben, die im Minutentakt tödliche Attacken auf die Augenpaare von uns arglosen Unschuldigen ausüben.

(Nebenbei: Seit jeher gehe ich davon aus, dass irgendein adipöser, ungewaschener Heranwachsender, vermutlich so im Alter zwischen 11 und 14, Auslöser meines verfrühten Ablebens oder zumindest eines furchtbaren Unfalls sein wird.
Von daher verfalle ich beim Anblick männlicher Jugendlicher grundsätzlich in eine nackenhaarvertikalisierende Vorbeuge-Panik.
Selbst im seltenen Fall, dass sie sich oder andere gerade mal nicht mit lebensgefährlichen Gegenständen bewerfen, stellen sie eine dämonische Fährnis dar. Denn auch wenn man bloß im Bus in ihrer Nähe sitzt (und bei der entmenschten Lautstärke, mit der sie für gewöhnlich brüllen, ist der gesamte Bus ihre Nähe), droht das eigene Gehirn auf Grund der zerebral nicht prozessierbaren, grenzenlosen Debilität ihres Gelabers in einem Overload des Grauens zu implodieren.)

Was man der Großstadt zu Gute halten muss, ist allerdings, dass 99,9% der Passanten einen nur im Geiste für verrückt erklären – soll heißen: man wird nicht angesprochen.
In der Kleinstadt oder gar auf dem Dorf wäre das vermutlich anders und somit erst Recht unerträglich.
Nur ein Mal traute sich ein etwa 20-jähriger, etwas zu sagen. Er und sein Kumpel standen in der Kassenschlange direkt hinter mir, und nachdem sie bereits eine Weile getuschelt hatten („Ey Alder, warum haddä Brille auf?“ u.ä.), fasste er sich schließlich ein Herz:
„Schulgung, wieso hamsie schwadse Brille?“
Ich drehte mich um und sagte ruhig und sonor:
„Cos‘ Amma Kool Dood Muthafucka!“
Er versuchte eine Art wissendes Nicken hinzukriegen, und das Gespräch war auf angenehm friedliche und gleichsam zeiteffektive Weise beendet.
Oh Schlagfertigkeit, Du scharfe Klinge der Zivilisation, wenn ich Dich doch nur häufiger zu meinen Attributen zählen dürfte!

Lange Rede, kurzer Sinn: I Wear My Sunglasses At Night war ein ziemlich mieser Song, und seine Umsetzung in die Realität ist eine ziemlich miese Idee.
Im Winter allemal.
Bedenken Sie dies, bevor Sie Ihren Augenarzt zum Laserschwert greifen lassen.

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