Jürgen Roth hat in der taz-Kolumne Die Wahrheit etwas über Städtebau in Frankfurt geschrieben. Und das fanden irgendwie nicht alle Frankfurter total töfte.
Da dachte ich mir: Zeit für eine profunde Recherche vor Ort.
Fassen wir vorab zusammen, was stimmt in dem Artikel:
Die Stadt hat also „den Roßmarkt in ein Aufmarschgelände für Fußballfans, Apfelweintrinker und Salafisten verwandelt“.
Das kann man so formulieren. Wobei ich mich natürlich frage, was an Apfelweintrinkern so schlimm ist. Bin ja selbst ein überzeugter ebensolcher. Und in meinem Leben eigentlich noch nie irgendwo aufmarschiert. Sei’s drum, der Roßmarkt ist tatsächlich gründlich mißraten, war aber auch vor der Umgestaltung schon nicht besonders becircend.
Die „angebliche Altstadt“ und der „debile Römer“ sind damit hinreichend beschrieben.
West- und Osthafen, so erfahren wir, sind „kopftote, abgrundtief öde, faschistische Tummelplätze fürs Bänkergeschmeiß“.
Oder in meinen Worten: nette Orte zum Ambulieren, die das Mainufer als zentralen Sommertreffpunkt aller lebenslustigen Menschen – Einheimische wie Touristen – erst möglich gemacht, jedenfalls mindestens mal stark erweitert haben.
Der eigentlich anprangernswerte Tatbestand, nämlich dass man immer noch und überflüssigerweise an beiden Mainufern vielbefahrene Durchgangsstraßen unterhält, kommt in der Kolumne gar nicht zur Sprache. Dabei hätte sich dafür doch bestimmt auch noch eine knackige Dritte-Reichs-Metapher finden lassen (Hitlers Autobahnen usw.)
Und das Europaviertel, falsch, das „von Albert Speer konzipierte Europaviertel“, ist zwar tatsächlich von Speers gleichnamigem Filius entworfen, kam meinem naiven Auge aber bis dato immer relativ untotalitär, wenn nicht gar sympathisch vor – viel grün, Minigolf, nette Einkehren, eine beinahe durchgängige Parkachse von der Messe bis hin zum ollen Rebstock.
Aber ich wollte ja recherchieren. Also los:
Tatsächlich entpuppt sich das Europaviertel bei erneuter Inspektion immer mehr als ein mit Betonklötzen zugepflasterter Erdrückungsraum, in dem die Lebensfreude und das Grün zunehmend durch Gewerbe- und Büropaläste verdrängt werden. Die seit jeher etwas überambitioniert Europagarten getaufte Erholungsfläche ist zur Zeit hauptsächlich eine riesige Baustelle, an der ein Straßen- und U-Bahn-Tunnel entsteht, über dem in ferner Zukunft dann irgendwann auch wieder Parklife zelebriert werden soll. Warten wir’s ab.
Die Europa-/Stalinallee.
Und im Hintergrund die Plaza des himmlischen Friedens (mangels Kunden).
Aber das Viertel als Bedrohung oder Entzauberung des Gallus zu dämonisieren, wie Herr Roth es tut, ist schlicht Humbug. Natürlich sind etwa die Backsteinhäuser in der Ruppertshainer Str. heute eine wundervolle Wohnlage, aber sie sind das ja erst vermöge des Europaviertels geworden. Früher war das nämlich aufgrund des Güterbahnhofs klassisches Zonenrandgebiet; eine von der Zivilisation abgetrennte, perspektivlose Sackgasse und Endstation urbanen Daseins. Erst vermittels des neuen stylischen Nachbarn ist es plötzlich ein zentrales und fürwahr attraktives Kleinod im Frankfurter Stadtbild.
Gilt um so mehr für die Kuhwaldsiedlung – deren Bewohner können ihr Glück vermutlich kaum fassen. Jahrzehntelang von der Außenwelt abgeschnitten, undank Autobahn, Messe und Güterbahnhof – die meisten Frankfurter wussten vermutlich gar nicht, dass die Siedlung existiert – wohnen sie nun auf ein Mal in direkter Nachbarschaft zu einem innerstädtischen Großwohngebiet und einer stattlichen Parkanlage. Wer sieht, mit welcher Vehemenz die Kids dort die neuen Bolzplätze und Basketballcourts beackern, der bekommt ein Gefühl dafür, wie grau in den Jahrzehnten zuvor das Leben auf einer wasser- und inspirationslosen Insel gewesen sein muss.
Paradies für Heißkleiber und Kaltamseln:
alter Grünstreifen in der Frankenallee
Bleibt die Frage nach dem Grünstreifen auf der Frankenallee, vom Grünflächenamt „mit Hilfe eines Offenbacher Gartenbaubetriebs“ zur Zeit „verwüstet“.
Scheibenkleiber! sagt da die „verstörte Amsel, die auf dem planierten und verdichteten Boden verzweifelt und erfolglos nach Nahrung“ späth.
Okay, der Zeitpunkt der Restauration ist womöglich nicht ideal, wahrscheinlich ist die ganze Restauration auch gar nicht nötig, aber der Grünstreifen wird ja nicht durch eine neue Startbahn ersetzt, sondern nur durch einen neuen Grünstreifen. Deshalb gleich ein „Schandwerk“ zu sehen und mit dem „Reichsparteitagsgelände“ aufzuwarten, ist also unter Umständen ein klitzekleines Bißchen übertrieben. Den heute dort herumwuselnden Kindern schienen jedenfalls die „blauen Bodenwulstleuchten“ ganz gut zu gefallen.
Und: Nichts gegen eine ordentliche Polemik. Aber gerade in einer Zeit, in der tatsächlicher Faschismus plötzlich wieder auf ekelerregendste Weise omnipräsent ist, sollte man die diesbezüglichen Vokabeln vielleicht nicht allzu inflationär gebrauchen, um damit auf Spatzen zu schießen.
Killing Mockingbirds.
Hier können bald auch wieder Panzer rollen!
Natürlich verdient es immer unsere grundsätzliche Sympathie, wenn jemand über die Zerstörung gewachsener Grünflächen und die zunehmende Unbezahlbarkeit urbaner Wohnquadratmeter schimpft, wobei letzteres in der Kolumne maximal zwischen den Zeilen getan wird.
Doch begegnet uns hier zuvörderst ein uralter, reichlich pennäleresker Trugschluss linker Befindlichkeit: nämlich dass sauber und ordentlich irgendwie bäh ist, und verrotzt und syphig schön.
Ist es nicht. Wer mit Sperrmüll übersähte Gehsteige sehen will, kann gerne nach Griesheim ziehen. Die Lattemachiattisierung des Gallus wird sowieso überbewertet. Wenn meine heutige Recherche eins ergeben hat, dann nämlich: eigentlich sieht’s da so aus wie immer, nur dass alle irgendwie ganz gute Laune haben.
Und das finde ich nicht verwerflich.
Scherge des Braunflächenamts schiebt auf der Baustelle Wache.
Jederzeit bereit, mit Kanonen auf Kleiber und Amseln
zu schießen.
Lieber Jürgen Roth: Ich musste schon auch viel schmunzeln beim Lesen Ihrer Tirade. Aber wenn Sie jetzt wirklich in den Riederwald oder gar nach Sossenheim ziehen – sagen Sie mir bitte Bescheid!
Ich nehm‘ Ihre Wohnung im Gallus mit Kußhand.
Herzliche Grüße aus der Nordi,
Ihr Lenin.
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