„Wenn Du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser!“ ist die Schlüsselzeile auf dem neuen Kettcar-Album Ich vs. Wir.
Und was für eine Hammerzeile das ist!
Ein grußloser Schlag ins Gesicht all jener Menschen unseren Alters und unserer Befindlichkeit, die sich dem Eskapismus, dem heimeligen Sonnen in der eigenen Bubble, dem genussvollen Ausblenden all dessen, was im Leben und an der Gesellschaft, insbesondere unseren Mitmenschen, Scheiße ist, seit Jahren erfolgreich und seelenegozentrisch wohltuend hingeben, ein call-to-arms gegen die eigene Gemütlichkeit sozusagen, der sich gewaschen hat und ins Schwarze trifft. Denn nichts haben wir besser gelernt – Ihr Blogadministrator in inzwischen über 50 Lebensjahren – als das schlechte, schlimme, falsche, brechreizerregende in dieser Welt nicht etwa zu bekämpfen (anstrengend, aufreibend, fruchtlos), sondern schlicht zu ignorieren, vor ihm sehenden Auges zu kapitulieren, wie nicht zuletzt Tocotronic es uns einst lehrten. Klappt 1a fürs eigene Leben, verändert aber rein gar nichts.
Das Kettcar-Album ist ein richtig, richtig gutes. Neben dem zitierten Song (Trostbrücke Süd) enthält es noch den wundervollen Historien-Schinken Sommer 89; einerseits eine dezidierte und berechtigte Breitseite gegen die eigene Prä-Wende-Links-Intellektuellen-WG-Sozialisation, andererseits auch eine solide, prallgefüllte Kotztüte an all die Ossis, die schon damals zu feige waren abzuhauen, und stattdessen heute die Parlamente mit dumpfen, flüchtlingsfeindlichen Rechtspopulisten vollsauen; ein Song kurzum, der einen zu gewissen Stunden mit gewissem Pegel durchaus zu Tränen zu rühren imstande ist.
Und noch einige Perlen mehr (Ankunftshalle, Benzin und Kartoffelchips, Mannschaftsaufstellung).
Kurz: großartig! Thumbs ziemlich hoch up!
Und gleich noch ein weiterer Kracher in diesem bislang so traurigen Musikjahr ist unlängst erschienen: Flash von Fünf Sterne Deluxe.
Während all die anderen altgewordenen Deutschrapper inzwischen immer öfter übers Einkaufen, Kinderkriegen und Familiehaben rappen, geht bei Tobi und Das Bo weiterhin gnadenlos 24-7 die Bong rum, und so lange dabei immer noch herzzerreißender, norddeutscher Unfug wie Moin Bumm Tschack (über das entsprechende Kraftwerk-Sample – siehe auch hier) entsteht, sollte uns das allen sehr sehr recht und genehm sein. Das Album enthält 17 oder 18 Tracks, fast schon eine Zumutung könnte man meinen, aber mindestens ein Dutzend davon sind ungemein unterhaltsam und einige sogar großartig. Fein gemacht.
Und war das nun, seit ewigen Zeiten, mal wieder ein durch und durch positiver Musikbeitrag hier im Blog?
Es war, meine Damen und Herren, es war.
Links:
Kettcar – Sommer 89
Fünf Sterne Deluxe – Moin Bumm Tschack
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