Well, das olle Internetz scheint vorübergehend wieder zu funktionieren, also kann ich mich ja heute mal pflichtgemäß der Top-Nachricht der letzten Woche widmen: dem Split von Oasis.
Dem gefühlten dreiundzwanzigsten in der Bandkarriere.
Jedoch diesmal scheint es irgendwie plausibler zu sein als sonst.
Nur einmal hatte Noel bisher wirklich ernsthaft hingeschmissen. Das war 2000 nach dem vierten Album Standing On The Shoulder Of Giants. Und angeblich hat er sich damals nur deshalb zum Weitermachen entschlossen, weil ihm sowohl Andy Bell als auch Gem Archer zwei Wochen lang die Ohren vollgeheult haben.
Und fürwahr: den beiden gerade neu verpflichteten Bandmitgliedern muss die Trennung damals wie der größtmögliche Akt seelischer Grausamkeit vorgekommen sein.
Man stelle sich vor, ein mittelmäßig erfolgreicher Popmusikant zu sein, und eines Tages ruft aus heiterem Himmel Noel Gallagher an, und bittet Sie, doch künftig in der größten Rockband der Welt mitzuspielen. Da ist ein Sechser im Lotto Kindergeburtstag dagegen.
Und während Sie nach etwa fünf Monaten dauernden Sich-selbst-in-den-Arsch-Petzens, langsam beginnen zu glauben, dass dieser Traum tatsächlich Wirklichkeit ist, kriegen sich die zwei dämlichen Brüder mal wieder in die Haare und die Band löst sich vor Ihren Augen auf.

Nun, das Weinen der beiden half offenbar. Noel machte weiter, und behauptet noch heute, er habe das nur Andy und Gem zu Liebe getan. Jedenfalls eine weise Entscheidung.
Denn, wie ich hier im Blog bereits an anderer Stelle mal angedeutet habe, ist es ein verbreiteter Irrglaube, eigentlich seien nur die ersten beiden Oasis-Platten wirklich hervorragend.
Im Gegenteil: Erst in der nun seit 10 Jahren gültigen Viererbesetzung Noel Gallagher, Liam Gallagher, Andy Bell und Gem Archer (mit wechselnden live- und Studio-Drummern) sind Oasis eine richtige Band geworden. Eine Band mit einer eigenen Harmonie, Dynamik und Reife (sowohl bzgl. des Songwritings wie des Sounds), wie sie eben nur aus dem Miteinander mehrerer musikalisch zueinander passender und sich ergänzender Individuen entsteht. Wo also im Sinne einer abgedroschenen Floskel das Ganze mehr wird als die Summe der einzelnen Teile.
Die ersten drei Platten waren in diesem Sinne eher Noel-Soloplatten, auf denen sein Bruder singen durfte. Und die anderen Pappnasen waren halt von Alters her auch noch mit dabei.
Ok, das ist vermutlich übertrieben, aber Übertreibung macht anschaulich. Näher an der historischen Wahrheit dürfte folgende Einschätzung liegen: Oasis waren ein Trio, bestehend aus Noel, Liam und Bonehead. Folgerichtig wurde, kaum dass man berühmt war, der nicht gerade begnadete Schlagzeuger Tony McCaroll rausgeworfen und bald auch der ebenfalls nicht wirklich virtuose Paul McGuigan.
Als dann Bonehead, als einziges neben den Brüdern verbliebenes Gründungsmitglied, aus eigenem Antrieb und Entnervtheit das Gallaghersche Irrenhaus verließ, schlug die oben beschriebene Stunde der Herren Bell und Archer.
Andy Bell hatte schon reichlich Britpopmeriten gesammelt. Nach den ziemlich furchtbaren Ride (ever heard of shoegazing?), war er Frontmann der Britpopper Hurricane #1 und spielte dann auch noch kurz bei Gay Dad.
Gems Britpop-Erfahrungen stammten aus der Formation Heavy Stereo, die sich stark an Glam-Rock, und an T.Rex im Besonderen orientierten, ohne allerdings dem Original jemals nahe kommen zu können. Und Gem war fürwahr kein zweiter Marc Bolan…

Warum also haben diese beiden Neuen, meiner Meinung nach, eine so wichtige und gute Rolle gespielt bei der Band- und Erwachsenwerdung von Oasis?
Nicht nur, weil es, wie oben beschrieben, musikalisch gut gepasst hat. Irgendwie brachten sie auch die überfällige menschliche Balance und Ruhe in die Band, die beim ewig währenden Bruderzwist der Herren Gallagher dringend von Nöten war. Was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass Andy Bell einer der ganz ganz seltenen Menschen auf diesem Planeten ist, der offenbar ganz passabel mit Liam Gallagher kann. Und umgekehrt.
Und weil Oasis-Platten endlich einen hörbaren Sound hatten.
Definitely Maybe und Morning Glory waren Alben, die nun wahrlich nicht durch einen ohrenverwöhnenden High-End-Klang hervorstachen. Was ja am Anfang irgendwie cool war, also „indie“, wenn man es positiv formulieren möchte. Und zu dieser Zeit, Mitte der Neunziger, einfach sensationell, denn vor dem weltweiten Siegeszug der lärmenden Lads aus Manchester war so etwas an der Spitze der Charts schlicht undenkbar. Dort tummelten sich für gewöhnlich Phil Collins, Madonna et al.
Insofern war das krachige Getöse der ersten beiden Oasis-Scheiben tatsächlich so etwas wie ein ästhetischer Befreiungsschlag. Allerdings konnte er einem eben auch relativ schnell auf die Nerven gehen.
Das dritte Album war dann schlicht eine Sound-Katastrophe. Oasis waren inzwischen Weltstars, allein das Kokain-Budget von Be Here Now dürfte das Fünffache der üblichen Gesamtkosten einer normalen CD-Produktion überstiegen haben, und entsprechend großkotzig, selbstverliebt und totally over the top wurde dann eben auch produziert. Jeder Song hat allein geschätzte dreißig Gitarrenspuren, ein furchtbarer auraler Overload, mit dem unausweichlichen Soundresultat: Kelterei Matsch und Brei.

Standing On The Shoulder Of Giants ist dann, wenn Sie so wollen, ein Hybrid. Einerseits ein Aufbruch in eine neue, bessere Zeit. Aber andererseits schienen dem lieben Noel nun, nach fünf Jahren Rock’n’Roll stardom and frenzy, langsam die genialen Songideen auszugehen. Und Liam war damals noch nicht so weit, ernstzunehmende Songs beizusteuern (siehe: Little James).
Rekordverkaufszahlen und Massenhysterie der Anfangsjahre getrotzt, bleibe ich ergo dabei: die letzten drei Alben, also jene mit den Herren Bell und Archer, sind die drei schönsten der Band. Sie werden musikhistorisch nie eine auch nur annähernd vergleichbare Rolle spielen wie Definitely Maybe und Morning Glory, aber es sind jene drei Platten, die man sich auch in zehn Jahren noch von A-Z anhören kann, ohne auch nur ein einziges Mal genervt skippen zu müssen.

So weit, so unwichtig.
Bleibt die viel drängendere Frage, warum denn, bei all der hier geübten Kritik, und der schwierig zu leugnenden Tatsache, dass Liam Gallagher ein nur notdürftig zurechnungfähiger Vollidiot ist, Oasis überhaupt so wichtig sind, dass man hier seitenlang über sie schwadronieren muss.

Nun, weil sie eben Götter sind.
Oder treffender: Ikonen
Ikonen des Britpop, der In- und Sammelbegriff einer ganzen musikalischen Weltanschauung, der ja nicht nur ich seit Abermillionen von Jahren hoffnungslos anhänge.
Klar, jeder Britpopfan hat andere Bands, die ihm wichtiger sind, Platten die man häufiger hört, Perlen, die weniger abgedroschen sind, Lieblinge, die man weniger umständlich erklären muss. Aber nichtsdestotrotz oder gerade deswegen sind Oasis eben seit jeher einfach: die Größten.
So Muhammed-Ali-like.
Unausweichlich.
So groß, dass man nicht dran vorbeikommt.
Riesen.
Jeder Mensch muss eine Meinung zu Oasis haben, kein Musikliebhaber kann glaubhaft behaupten, er würde sie nicht kennen, sie würden ihn nicht interessieren.
Für ihr Knebworth-Festival 1996 wollten seinerzeit 4 Millionen Briten Tickets erwerben. Das ist größer als alles, was es jemals in der Musikgeschichte gab. Und das für, ich wiederhole mich, Indie-Gitarren-Geschraddel, nicht für Phil Collins!

Und natürlich der Beatles- und Sixties-Ersatz! Wenn es jemals einen gemeinsamen Nenner aller anglophil geschlagenen Musiknerds auf dieser Welt gab, dann waren das natürlich die späten Sechziger mit Mod-Culture, The Who und den Fab-Four auf LSD.
Oasis waren das Beatles-Surrogat einer Generation der Zu-Spät-Geborenen.

Ein paar Belege für den Ikonen-Status: In Köln gründete sich einst um Thees Ullmann (Roadie von Tocotronic, später Sänger von Tomte) und Rocco Klein (SPEX-Schreiber und späterer Musikfernseh-Fuzzy) der Fanclub „Oasis-Ultras“.
Noch heute vermag in jedem Britpop-Club der Welt irgendein Song von den ersten beiden Oasis-Platten in Sekundenschnelle Dutzende von betrunkenen, nicht mehr ganz blutjungen, Männern auf die Tanzfläche zu zaubern, die sodann mit einem Arm in die Luft gereckt, irgendwas von „Cigarettes and Alcohol“ oder „I’m free to do whatever I“ grölen.
Und auch im Schlafzimmer des Blogadministrators Ihrer Wahl hängt seit gefühlten hundert Jahren ein lebensgroßes Portrait der Brüder Gallagher – natürlich nicht als papiernes Poster, sondern als für teures Geld auf Holz gezogene Mona Lisa.
Erhaben blicken sie von dort herab auf mein jämmerliches Streben und den alltäglichen Daseinskampf. Liebhaberinnen kamen und gingen, Wohnungen wurden gewechselt wie andernorts die Unterwäsche, Diplomarbeiten wurden geschrieben und vergessen, aber die Gallagher-Brüder dort oben an der Wand haben sie alle überlebt. Sie hängen dort, wortlos und weise, und auf Noels weißem Shirt steht majestätisch: Cerruti.
And that about sums it up once more: Niemand verkörperte jemals glaubhafter und echter die banalen Träume einer working-class-Jugend, geboren im Nichts der Vorstädte.
Weißer Hip Hop sozusagen. Keine Freunde, nur Feinde da draußen. „Du musst besser sein Brille, besser als der Rest!“ (H.R. Kunze). Keine Ideologie, keine Message, außer der schlichten und urbritischen: Let’s have it now or never. Tomorrow is just another day.
Die Politik des Ich.
Ganz schön arm eigentlich.
Aber massentauglich.
Weil vermutlich menschlich.
Und bei solch wunderschöner Musik ist einfach alles verzeihbar.

Lassen sie mich zum Schluss drei amüsante Kleinigkeiten erwähnen:
Erstens, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben GALA gelesen. Die GALA hat nämlich die Mutter Gallagher interviewt, und die wusste sogleich beschwichtigend beizusteuern, dass es natürlich kein endgültiger Split sei. Sie kenne ihre Söhne, die waren schon immer so, und in spätestens ein, zwei Jahren gibt es eine Reunion und alles wird gut.
Zweitens gilt es, mal einen Oasis-Hasser zu Wort kommen zu lassen. Luke Haynes (Sänger von The Auteurs und der Mensch, der neulich ein Anti-Britpop-Sachbuch geschrieben hat) titulierte den Song Whatever in einer der gelungensten Pop-Polemiken, die ich kenne, als „ein schlechtes Kinderlied, das klingt wie von einer drittklassigen Rutles-Tribute-Platte“.
He’s got a point
Und drittens muss man natürlich auch Liam, obwohl er ein ausgemachter Depp ist, einfach lieben. Interviews mit ihm sind eines der größten Plaisire, die die Popmedienlandschaft zu bieten hat. Nur ein Beispiel von tausenden:
Im Jahr 2008 fragte ihn die Q, ob er denn auch manchmal mit seiner Ehefrau zusammen Lieder schreibe.

Q:
Do you ever co-write with Nicole?

Liam:
Nic? What, my missus? No!
She is into a different kind of music, isn’t she? She’s into Pearl Jam. I fucking hate Pearl Jam. She was having a go about it the other night. I’ve got Lennon and Jimi Hendrix and Bob Marley pictures on the wall. She’s going, „Why can’t I stick pictures of people on the wall?“ I says, „Who?“ and she says „Eddie Vedder.“ I said: „Get in the kitchen!“
I’m not having Eddie Vedder alongside Elvis and John Lennon.

Meine Damen und Herren, Sie wissen wohl, dass ich weder Hendrix noch Bob Marley noch Elvis verehre. Um ehrlich zu sein, verehre ich noch nicht mal John Lennon – ich bevorzuge Paul.
Und ich habe auch nie gesagt, dass Frauen in die Küche gehören – die Küche dient primär dem Zweck, dort alkoholische Getränke kaltzustellen.
Aber sehr laut schmunzeln musste ich natürlich trotzdem.

Fazit: Ein Leben ohne die Ikonen ist eigentlich keins mehr.
„Es gibt kein wahres Leben im Falschen.“ (Adorno)
Wenn das wirklich das Ende von Oasis ist, dann ist das auch endgültig das Ende meiner Jugend. Dann werde ich eine Familie gründen, Karriere machen, mit dem Rauchen und dem Schreiben aufhören und irgendeiner Partei beitreten.
Ich fürchte bloß, Mutter Gallagher behält mal wieder Recht…

Admin