Heute möchte ich noch einmal auf Billy Bragg und die Liebeskummer-Geschichte zurückkommen. Ich meine, schließlich heißt es doch immer, dass in Phasen der Krise die wahren Sternstunden der Kunst schlagen. Wenn der Künstler aus der Tiefe des Erlebten schöpft und seine gewonnenen Weisheiten ins schönste semantische Kleid gesteckt an eine Leserwelt weiterreicht, in der es den meisten ja vermutlich auch nie so richtig 1a-prima geht. Also gilt die Parole, kaum dass man wieder feste Nahrung zu sich nehmen kann: Griffel geschnappt und Literaturgeschichte geschrieben!
Ausbeutung des Desasters, Hingabe an die Dreingabe.

Äh, um ehrlich zu sein, glaube ich tatsächlich, dass eine Menge großer Kunst von winselnden verlassenen Seelchen hervorgebracht wurde, ja dass nicht zuletzt so mancher erste Roman mit an Sicherheit grenzender Bestimmtheit als Antwort auf irgendeinen tiefgreifenden aber ungewollten Umbruch im Leben zu Papier kam.
Was allerdings natürlich rein gar nix mit dem vermeintlich kreativen Potenzial der Einsamkeit zu tun hat, sondern schlicht damit, dass man vorher keine Zeit für solchen Mumpitz hatte, bzw. einfach besseres zu tun. Zum Beispiel Knutschen.
Mal abgesehen von der Kleinigkeit, dass Dinge heutzutage sowieso nicht mehr zu Papier sondern zu ferromagnetischen Speichermedien gebracht werden.

Leider muss ich meine kleine Geschichte mit einem Geständnis beginnen, nämlich dem, dass ich mich erst vor etwa anderthalb Jahren bereits in einer vergleichbaren Situation befand. Auch damals hatte eine Person, die mir zu sehr am Herzen lag, beschlossen, für immer in die ewigen Jagdgründe des Lebens zu verschwinden, und auch damals litt ich deutlich mehr als mir lieb war. Ich fürchte also, eine gewisse Kumulation des Verlassenwerdens in meinem Leben konstatieren zu müssen.
Da hat man also geschätzte zwanzig Jahre stolz und forsch den Status der Beziehungsunfähigkeit für sich selbst reklamiert und die Romantik der Vergänglichkeit gepriesen, sich zum ewigen Buhmann der gebrochenen Herzen stilisiert, und kaum ist man endlich satt und hat den Reiz und die Verheißung der emotionalen Rente für sich entdeckt, will einen keine mehr haben. Dumm gelaufen.

Jedenfalls widerfuhr mir in besagter Zeit vor etwa anderthalb Jahren jene bemerkenswerte Anekdote: Ich erwachte an einem Sommersonntag mit dem üblichen einzigen Bettgenossen, den das Schicksal in solchen Situationen bereitzuhalten gewillt ist: einem quälenden, lähmenden Kater. Keine Verabredung stand an, nichts auf der Agenda, auch alle Freunde hatten was besseres vor. Buchstabiere e-i-n-s-a-m. So suhlte ich ein paar Stunden in meiner Depression, bis die ewige Verlockung der strahlenden Sommersonne mich doch nach draußen zog. Aber was tun? Für Wandern oder gar Laufen war ich zu zerstört. Aber wenigstens raus. Raus ins Licht. Ein kleiner Spaziergang in den Park, dort mit der guten, alten Q auf eine Bank gehauen – das sollte doch wenigstens drin sein. Anziehen, reichlich Wasser einpacken, Kopfbedeckung nicht vergessen, ab in den Aufzug und runter in die Welt.
Beim Verlassen des Aufzugs im Erdgeschoss, trat mein rechter Fuß in eine unheilversprechende, breiige Flüsigkeit. Jemand hatte vor den Aufzug gereiert, und ich stand in meinen Flip-Flops mittendrin. Schönen guten Morgen. Nachdem ich notdürftig jenen Kotzehaufen eines Fremden mit herumliegenden Werbezeitungen abgedeckt hatte, um anderen ein ähnliches Schicksal zu ersparen (der Verursacher des Malheurs hatte solcherlei ja offensichtlich nicht für notwendig erachtet), fuhr ich wieder hoch in meine Wohnung, um mir die Füße zu waschen. Dort drängte mein katerzerfressener Körper derweil auf eine Planänderung: er schrie nach Zucker. Nun, ich habe gewöhnlich keine Süßigkeiten im Haus, und Sonntags kann man unglücklicherweise auch nicht einfach schnell zum Bäcker nebenan gehen – der hat nämlich zu.
Ich beschloss, zum Hauptbahnhof zu fahren, mich dort mit leckeren Stückchen einzudecken, und dann mal weiterzusehen. Insider wisssen vielleicht, dass unser Bockenheimer Westbahnhof unter anderem auch die Heimat einer geschätzten Tausendschaft von Tauben ist, jener ekligsten aller Arten der fliegenden Zunft, Ratten der Lüfte.
Und auch Nicht-Insider können spätestens jetzt erahnen, was mir folglich auf dem Weg zum Westbahnhof wiederfuhr.
Nachdem ich also erneut kehrt machte, mir diesmal zu Hause nicht die Füße sondern die Stirn waschen durfte, mein ebenfalls vollgeschissenes T-Shirt wechselte, keimte in mir der Verdacht, das Schicksal habe mir an diesem Tag wohl irgendeine Lektion erteilen wollen.
Und zwar vermutlich nicht nur die banale, aus dem Fußballsport hinlänglich bekannte, dass einem, wenn es eh schon nicht so gut läuft, buchstäblich die Seuche am Fuß klebt (bzw. in diesem Fall eben jemandes Auswurf).
Sondern wahrscheinlich darüberhinaus auch so in folgende Richtung:
Da ich am ungünstigen Verlauf der verlorenen Romanze seinerzeit nicht ganz unbeteiligt war, solle ich mal bloß jetzt nicht mit meinem Wehklagen angekrochen kommen. Schließlich habe ich mir das alles selber eingebrockt. (Daher vermutlich auch die Bröckchen in der Kotzepfütze…)
So weit so einfach.
Lektion verstanden, Schicksal.
Doch das war nur der erste Teil des Beitrags.

„Strange things happen, when you’re not around.
Our love is so strong, it moves objects in the house.“
(Billy Bragg)

Anfang des Jahres beklagte ich, nicht zuletzt hier im Blog, eine andauernde Dysfunktion meines Computers. Neben den allgemeinen Gewöhnungsschwierigkeiten an die unheile Welt des neuen Betriebssystems, war es insbesondere eine ganz bestimmte, unschöne Verhaltensweise meines Rechners, die mich ärgerte, nämlich folgendes, alltägliches Pattern: Fährt man den Rechner hoch, was schon einige Minuten in Anspruch nimmt, dann friert nach etwa zwei Minuten Betriebszeit der Bildschirm ein, nix geht mehr, also auch kein Task-Manager o.ä., ergo muss man ausschalten, neu starten und wieder hochfahren. Von diesem Moment an funktioniert das Ding einwandfrei, auch über Stunden.
Das passierte bei jedem Einschalten des Computers. Bis das Problem eines Tages, ohne dass ich irgendetwas diesbezüglich getan hatte, verschwunden war. Einfach weg.
Und zwar ziemlich genau an jenem Tag, an dem ich zum ersten Mal die Prinzessin mit der großen hübschen Nase küssen durfte. Von diesem Tag an funktionierte die Maschine monatelang einwandfrei. Und zwar, sie ahnen den Plot erneut, genau bis zum Tag Eins, nachdem mir die Dame den Laufpass gegeben hatte.
Seitdem ist das Einschalt-Abstürz-Pattern wieder aktiv, und wie zu Beginn des Jahres, taucht es nicht manchmal auf, sondern immer. Jedesmal, wenn ich den Computer einschalte, kann ich ihn etwa fünf Minuten später ein zweites Mal einschalten.

Ich meine, hallo, das ist nun wirklich bizarr. Was will mir das Schicksal denn verdammt noch mal damit sagen?
Und mit was für abgeschmackten Mitteln?
Computer sind leblose, langweilige, graue Maschinen, als literarische Metaphern jedenfalls gänzlich unbrauchbare, blöde, sachliche Etwasse. Auf alle Fälle nichts, wessen sich ein Schicksal bemächtigen würde, um einem Menschenwurm eine saftige Lehre zu erteilen. Oder ist der Weltgeist jetzt endgültig auch im technokratischen Zeitalter angekommen?

„Vielleicht“, mögen Sie, im Versuch dem ganzen eine poetische Pointe abzugewinnen, einwerfen, „hat die Festplatte sich heimlich nachts an den auf ihr gespeicherten Prinzessinnenbildchen ergötzt, und ist jetzt auf Entzug.“
Aber leider kein Raum für Poesie, meine Damen und Herren, denn die Bildchen sind ja noch da. Nur die Dame ist weg.
(Die Zeiten, in denen eifersüchtige Teenagerinnen, die Fotos ihres Verflossenen verbrennen konnten, gehören nämlich glücklicherweise auch der Vergangenheit an. Schlichtes Löschen digitaler Daten verschafft diesbezüglich vermutlich keine Befriedigung, und gleich den Monitor anzünden? Na ja, soo wichtig war er dann auch nicht…)

„Vielleicht“, geben Sie zu bedenken, „sind Sie dem Schicksal einfach nicht wichtig genug, so dass es diesmal eben nur eine miese, kleine Drecksmetapher für Sie bereithielt, während die Taubenscheiße und der Eimer Gekübeltes an historisch wichtigerer Stelle zum Einsatz kamen.“
Hm, ja schon, vielleicht, aber ich weiß ja noch nicht mal, warum es überhaupt mir etwas sagen will, da ich diesmal an eigentlich allen Entscheidungen, die den Verlauf der Romanze betreffen, gänzlich unbeteiligt war.

„Vielleicht“, sagen Sie, „hat das Schicksal die Schnauze voll von Rock’n’Roll-Rhetorik, und versuchte sich diesmal mit einer subtileren Botschaft. So wie die Ströme des Lebens für immer undurschaubar bleiben, so sind auch die Ströme auf den Platinen ein ewiges Rätsel der…“
Ach, hör’n Sie mir doch auf!

„Vielleicht“, geben Sie sich langsam geschlagen, „ist das eben doch alles nur Zufall.“
Nun, höchstwahrscheinlich.
Aber das wäre doch ein allzu lahmes Ende für einen derart ausgeuferten Blogbeitrag, finden Sie nicht?

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