Hier ist ein guter Witz von Milton Jones:
„I have to complain about the Sushi-Restaurant at Gatwick airport. They have nice big meals but they all taste a bit luggagy.“
Den hatte ich im Sinn, als ich am Gepäckband in Fuerteventura auf meinen Rucksack wartete. Lange genug wartete, um den schwelenden inneren Konflikt zu lösen, ob ich den Witz einfach klauen soll (wer in Deutschland kennt schon Milton Jones?) oder ob ich ihn doch ordnungsgemäß als Zitat kennzeichne.
Nun, der Himmel war blau, die Luft war lind, die Aussicht auf eine Woche 25 Grad und Sonne im November stimmte mich milde, und ein unbändiges Verlangen der Welt einmalmehr mein edles Gutmenschentum vor Augen zu führen, ließ mich die zweite Variante wählen. In diesem konkreten Fall…
„Fuerte?“, höre ich es in den Leserhirnen rattern, „mit Wandern is da aber Essig!“.
Das stimmt, liebe Leserhirne, deshalb braucht man dort ein Hotel wie das „Las Playitas“:
Täglich sechs Sportkurse unter freiem Sonnenhimmel, ein Fitnessstudio, ein 50m-Schwimmbecken, ein Bolzplatz, Beachvolleyballplätze, Tennisplätze, eine Sporthalle für z.B. Badminton, eine kleine Work-Out-Area im Freien, ein Spa, 2x täglich Spinning, ein Golfplatz, 10 ausgeschilderte Joggingrouten rund ums Gelände, geführte Fahrradtouren – kurz: ein riesiger Spielplatz für Erwachsene. Und ein Paradies für jeden, der sich gerne an der frischen Luft bewegt.
Außerdem lockt das 50m-Becken tatsächlich Leistungssportler aus ganz Europa zum Wintertraining dort hin, was einem als Hotelgast einen gerne genutzten Anlass verschafft, sich als toller Hecht zu fühlen – wann trainiert man schon mal Seit‘ an Seit‘ mit Goldmedaillengewinnern? Ich durfte den Toller-Hecht-Bonus sogar schon auf dem Hinflug genießen, denn hinter mir saß die deutsche Triathlon-Nationalmannschaft! Im Ernst! (Und im Sitz.)
In der Hotellobby hängen lauter Portraits von allen möglichen Sportassen, die schon in Las Playitas trainiert haben. Sind die nämlich stolz wie Bolle drauf. Darunter steht dann z.B.
„Beate Görtz, Germany, Ironman-World-Champion“.
Da ich erst unlängst beim Büdesheimer Biermarathon einen respektablen 17. Platz belegte, habe ich denen auch ein Bild von mir angeboten:
„Jens Fröhling, Germany, moderate but dedicated smoker.“
Aber das wollten die nicht.
Beim Einchecken erhält man ein buntes Plastikarmbändchen, so Festival-like, und fühlt sich sofort irgendwie als Teil einer Community. Etwa im Sinne dieses alten Karnevalsschlagers: Wir sind die Eingeborenen von Triathlonesien.
Kleiner Nachteil von solchen sehr stabilen Festival-Bändchen: Unter der Dusche bleibt man beim Einseifen ständig an den Brustwarzen hängen, so dass man sich spätestens nach drei Tagen beide Nippel abgechippt hat. Aber okay, bißchen Schwund ist immer.
Aus purem Spaß am Scheiß habe ich auch ein paar Dinge zum ersten Mal gemacht, z.B. war ich beim Aerobic!
Ja, Sie haben richtig gelesen, das gibt es auch noch.
Wer männlichen Geschlechts ist und auch schon mal bei Aerobic, Step oder ähnlichem war, weiß wie das ist: die ersten 10 Minuten sehr spaßig (wer bewegt sich nicht gern zu Musik?), anschließend zunehmend blöder wegen der immer komplexer werdenden Choreo. Ich habe ja keinen Tanzkurs gebucht, sondern ich wollte zum Sport.
Liebe Fitnessstudiobetreiber, schon mal drüber sinniert, warum in fast all Euren Kursen immer nur Weiber sind? Deswegen. Kein Mann geht freiwillig in die Tanzstunde.
Als einziger Mann im Kurs ist man übrigens auch die einzige Person, die kein pastellorangefarbenes Workout-Top trägt. Also sozusagen die graue Eule unter lauter Paradiesvögeln. (Kurse in Poesie wurden leider nicht angeboten, sorry.)
Zum Fahrradfahren oder Laufen muss man die Hotelanlage natürlich verlassen. Das ist ein bißchen mittel, weil einem draußen sofort wieder gewahr wird, dass man ja auf Fuerteventura ist. Also in einer rotbraunen Schotterwüste. Taubstumm und staubdumm. Joggen Sie mal 10 km durch diese karge Ödnis. Das kann sich ziehen.
Einzige Form der Zerstreuung: mannsgroße, sabbernde Bluthunde, die hier jedes Grundstück oft zu mehreren bewachen.
Der Guanche an sich strebt in Bezug auf Touristen nicht unbedingt nach dem Brechen von Empathierekorden und sieht daher auch keine Notwendigkeit, seine Bestien in irgendeiner Form (Kette, Zwinger o.ä.) im Zaum zu halten. Die Handfeuerwaffe gehört also zwingend zur Läuferausrüstung – unbewaffnet wäre man innerhalb weniger Minuten zerfleischt.
Trauriges Überbleibsel eines Läufers, der seine Smith&Wesson im Hotelsafe vergessen hatte.
Als Alleinreisender geht das Training sogar beim Abendessen noch weiter. In Form eines Spießrutenlaufs.
Wer schon mal mit Halbpension auf einer spanischen Urlaubsinsel war, wird das Phänomen kennen: der Saal ist bevölkert von in etwa genau so vielen Kellnern wie Gästen. Die Kellner haben also im Grunde fast nichts zu tun und könnten einfach rumstehen und Maulaffen feilhalten.
Aber bei den Hotelbossen handelt es sich um bitterböse, skrupel- wie mitleidlose, kapitalistische Hyänen, die beim Anblick nichtstuender, bloß rumstehender und maulaffenfeilhaltender Kellner von kataklysmischen Wutkrämpfen heimgesucht werden.
Was beim Personal die nachvollziehbare Angst evoziert, in einem solchen Fall auf der Stelle entlassen und unbewaffnet zum Joggen geschickt zu werden.
Was wiederum zu einer absurden und hektischen Betriebsamkeit unter den Kellnern führt, die zur Folge hat, dass man als Gast in den ersten zwei Minuten am Tisch ca. fünf mal gefragt wird, was man trinken möchte, dass einem jeder leere Teller förmlich weggerissen wird, sobald man auch nur zum letzten Bissen angesetzt hat, und dass man als Alleinreisender, der mal eben schnell noch Nachschub am Büffet holt, häufig an einen komplett abgeräumten Tisch zurückkehrt (Besteck weg, Getränk weg), an dem im schlimmsten Fall sogar bereits wieder neue Gäste Platz genommen haben.
Und das war leider nicht übertrieben dargestellt.
Nach einer Woche wird man als rundumvertollerter Hecht wieder in Richtung Deutschland im Herbst (Faßbinder) verabschiedet. Nicht ohne den beruhigenden schriftlichen Hinweis der Hotelleitung, dass „allfällige Fundgegenstände“ nach der Abreise noch ein Jahr lang aufbewahrt werden. Und in diesem Moment gelobt man, das wunderschöne aber viel zu oft vernachlässigte deutsche Wort „allfällig“ künftig häufiger mal zu verwenden.
Bzw. erst mal zu googeln, was es eigentlich bedeutet.
Doch lassen wir wie immer noch ein paar Bilder sprechen:
Vielen Dank für diesen erneut sehr feinen Reisebericht!
Eine wunderbare Kombination an Wort- und Bildmalereien, die auch zu eigenen Assoziationen führt und Begegnungen und Erfahrungen mit Hunden und Menschen wieder aufleben läßt.
Ja, ohne eine geladene Smith&Wesson sollte man diesen lieben netten „Der tut nix und das hat er noch nie getan“ Bluthündchen nicht gegenübertreten, falls man an einer weiteren körperlichen Unversehrtheit weiteres Interesse bekundet.
Ihr Bericht gibt indes viel mehr über die Lebenswirklichkeit von Hunden und Menschen wieder als das ich es hier schnöde wiederholen sollte.
Nur eines:
Ja, auch ich habe mich früher in ähnliche Situationen gebracht, die ich damals als sogenannnte selbsternannte Versuchsperson (VP1) am eigenen Leib erlebte. Ob das von mir geplante Buch dazu jemals in fassbare Worte und Bilder gegossen wird, wage ich mittlerweile zu bezweifeln. Es kommt immer noch zuviel neuer Lebenswahnsinn hinzu.
Geplanter Titel: „Unfertiges eines Fertigen“ oder so ähnlich.
Zugegebenermaßen habe ich zum Beispiel das „Toller Hecht“ Prinzip erst im hohen Lebensalter verstanden, obwohl es doch sehr, sehr ureigen menschlich ist.
Erst letztens stellte ich mich längere Zeit neben einen Lottomillionär, der unerkannt bleiben will. Es hat nix auf mich abgefärbt. Ich muss immer noch Teller abwaschen. Ok, nein, selbst in die Geschirrspülmaschine stellen … Allerdings sind die Teller meistens in Form und Farbe sehr schön.
Ich wünsche Ihnen viele weitere schöne allfällige Geschichten und Fundsachen!