*= heute: BaKriZi – bahnbrechende Kritikerzitate

Zum Thema „moderne Kunst“ im allgemeinen und „neue Musik“ im besonderen hatte ich Ihnen hier vor einigen Jahren bereits das wichtigste gesagt.
Anlässlich meines unlängst gestarteten Versuchs, an Hand von Musikerzitaten aus längst vergangenen Zeiten eine Art Pohistorie im Spiegel der Zeitläufte zu erzeugen (BaMuZi), möchte ich das Thema heute noch mal aufgreifen, und präsentiere Ihnen zwei Statements aus den 60er Jahren, jeweils von Vertretern der anti-avantgardistischen Front.
Dabei finde ich das erste Beispiel auf Grund seiner farbenfrohen Polemik-Prosa beinahe famos:

Die seit 1945 angewandte Taktik der Zwöftonsekte, ihre Gegner mangels sachlicher Argumente politisch zu diffamieren, ist dank der unermüdlichen Aufklärungsarbeit abgenützt, fadenscheinig und zudem fast allgemein durchschaut worden. Dabei möchte ich die Charakterisierung der Zwölftöner als einer Sekte gar nicht dahin verstanden wissen, als ob sie wirklich ihrem Glauben so leidenschaftlich anhingen, wie dies den Anschein weckt. Ich bin im Gegenteil der Meinung, die meisten von ihnen – in der Malerei sieht’s nicht anders aus – sind halb oder scharlatanisch begabte Banausen, Snobs oder geschickte Gaukler, denen die abstrakt-atonale „Kunstrichtung“ die Möglichkeit gibt, sich seit Jahren als geniale, unverstandene, eben avantgardistische Künstler zu gerieren. Aber diese bunte, im Grunde komische Korona von elektronischen Geräuschkulissenschiebern, parametrisch determinierten Tontraubenpflückern, psychisch unterschwelligen Farbenklecksern, raumplastischen Eisendrahtverbiegern und dienstbeflissen mittrottenden Theorie-Marketendern weiß genau, dass mit dem Verebben der modernistischen Welle zugleich auch ihre mühelose aber einträgliche Tätigkeit zu Ende und die Umstellung auf eine nützliche Büro- oder Handarbeit unvermeidlich wäre.“
(aus: Alois Melichar – Schönberg und die Folgen, 1960)

Herrlich! „Zwölftonsekte“, „halb oder scharlatanisch begabte Banausen“, „Eisendrahtverbieger“, „Theorie-Marketender“ etc.
Natürlich darf dann gegen Ende auch das Lieblingsargument einer ganzen Generation (die nun dummerweise ausgerechnet unsere Elterngeneration war…), diese Menschen mögen doch gefälligst was Anständiges lernen (hier: „nützliche Büro- oder Handarbeit“) nicht fehlen. Mit der Bezeichnung der Werke Stockhausens und Konsorten als „im Grunde komisch“ liegt der Autor aber selbstredend sehr nahe an der Wahrheit.

So weit, so fein gebrüllt.
Weitaus weniger amüsant ist eine solche Kritik dann schon in der Wortwahl des Kollegen Willy Hess aus dem Jahre 1967:

Der satanische Kampf gegen die Seele des Abendlandes geht planmäßig Hand in Hand mit der Propagierung von physischen Giften, die Leib und Seele zerstören. Das Verjazzen von Werken Beethovens und Bachs dient keineswegs nur einer gewissen Sorte von geistig Halbstarken zur Unterhaltung, sondern es steckt Methode darin, dieselbe Methode, die den geistigen Nihilisten Le Corbusier den Herztod aller europäischen Städte fordern lässt. (…) Hans Pfitzner hat einst ausgerufen, solange man den Verfasser eines „Dreimäderlhauses“ nicht mit lebenslänglichem Zuchthaus bestrafen könne, hätten wir noch keinen Autorenschutz. Was aber soll man zu einer derart schamlosen Verhöhnung und Verkitschung edelsten deutschen, ja, europäischen Kulturguts durch einen schmutzigen amerikanischen Merkantilismus sagen? In alten Zeiten wurden die Brunnenvergifter als Verbrecher am Volke hingerichtet – die heutigen Brunnenvergifter des Geistes und der Seele verdienen Millionen, bekommen von der Kirche ölig-verklärte Nachrufe und von den Universitäten akademische Ehrungen.“
(aus: Willy Hess: Parteilose Kunst – Parteilose Wissenschaft, 1967)

Nun, hieran ist eigentlich nichts mehr lustig.
Schon die penetrante Erwähnung der „Seele“, einem der Lieblingsworte der deutschen Romantik, ist natürlich verdächtig. Und das Ausspielen „edelsten deutschen Kulturgutes“ gegen „schmutzigen amerikanischen Merkantilismus“ zielt rhetorisch nurmehr pro forma verbrämt auf den „jüdischen Finanzkapitalismus“ unseligster historischer Zeiten, mit anderen Worten, wir haben es hier mit nichts anderem als als Kunstkritik getarntem Faschismus zu tun. Was sich auch durch die Auswahl der gerügten Personen (Le Corbusier, Pfitzner – beides eher Sympathisanten als aktive Gegner der extremen Rechten) nicht mehr kaschieren lässt. Wobei nicht ganz klar wird, ob Herr Hess hier mit Pfitzner schimpft oder ihm beipflichtet… Da kümmert dann auch kaum noch der in beiden Beiträgen gemachte, unsinnige Vorwurf ökonomischen Gewinnstrebens – denn man kann den Vertretern der seriellen musikalischen Moderne ja durchaus so einiges vorwerfen, aber mit Sicherheit eines nicht: nämlich dass ihre Musik übertrieben „kommerziell“ wäre…

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