Die elektronische-Musik-Postille Mixmag präsentierte vor einigen Wochen ein fast vierzigseitiges Special zum zwanzigsten Geburtstag von Aciiid House – ein ordentlicher Umfang und offenbar auch eine Mammutleistung der Recherche, wenn man bedenkt, dass eigentlich alle Protagonisten bzw. Pioniere mehr oder weniger verschollen, einige auch tot sind oder wahlweise wirres Zeug reden…
Ähnlich wie gut zehn Jahre später „Garage“, fand Acid als Massenphänomen eigentlich nur auf der Insel statt und ging an der großen Masse hierzulande vorbei.
Was in beiden Fällen keinen wirklichen musikalischen Verlust darstellt…
Aber Musik ist vermutlich in diesem Kontext ausnahmsweise mal zweitrangig. Viel wichtiger scheint mir der kulturhistorische Zusammenhang bzw. die gesellschaftliche Rezeption. Und diesbezüglich möchte ich mal behaupten: Was Großbrittanien mit Acid erlebte, spielte sich hiezulande sehr sehr ähnlich etwa eine halbe Dekade später mit Techno ab. Überhaupt ist ja Techno bislang die einzige Spielart der elektronischen Musik, die in Deutschland wirklich den Mainstream erreichte und aufmischte.
Zwei Phänomene möchte ich etwas näher beleuchten:
Da ist zunächst die irre Medienhysterie zu nennen, insbesondere natürlich in der sogenannten Regenbogenpresse, die sich beidseitig des Kanals gierig und geifernd auf das Thema stürzte, um den nahenden Weltuntergang zu prophezeien.
Die SUN titelte Ende der Achtziger fast täglich mit Aufmachern wie „Spaced Out! 11.000 youngsters go drug crazy at Britain’s biggest-ever Acid party“ oder „Mum in fury at girl’s drug death“, bot Ihren Lesern kostenlose Anti-Smiley-Badges an und versuchte eine inselweite „Battle to end the killer craze“ vom Zaun zu brechen.
Ähnlich aufgewühlt reagierte natürlich dann auch die BILD-Zeitung auf Techno und den damit einhergehenden, unabwendbaren Drogentod einer ganzen Generation von armen, arglosen Jugendlichen – verführt von einer unheiligen Allianz aus hinterlistigen Abzockern, skrupellosen Eventveranstaltern sowie gedanken- und gewissenlosen DJs und Musikproduzenten. Das ganze driftete nach und nach ins Aberwitzige und kulminierte im Jahre 2000 in der legendären und bis heute unvegessenen BILD-Titelstory „Loveparade: Vermutlich Pillen im Bier! Ecstasy-Anschlag auf Gotthilf Fischer“.
Dass ausgerechnet solch notorisch-faschistoide Revolverblätter sich immer wieder selbst zum Retter der abendländischen Kultur ernennen, ist das Eine. Dass damit in der Praxis jeweils genau das vermeintlich Nicht-Intendierte erreicht wird, ist das andere. Denn natürlich hat diese sensationsheischende Berichterstattung abertausende von Jugendlichen überhaupt erst neugierig gemacht – anders gesagt: die SUN dürfte mehr zum Massenphänomen Aciiid beigetragen haben (und die BILD-Zeitung zum Massenphänomen Techno), als es jede Werbekampagne der Musikindustrie jemals vermocht hätte.
Was den besagten Zeitungen selbsredend schnurzpiepe war, schließlich ging es ihnen ja nicht WIRKLICH um die Gesundheit der jugendlichen Raver, sondern ausschließlich um die Steigerung der Auflage.

Der zweite kulturhistorisch relevante und noch viel interessantere Punkt scheint mir die Frage zu sein, inwiefern Acid und Techno gesellschaftlich etwas bewegt oder verändert haben.
Mehr oder weniger alle vom Mixmag befragten Zeitzeugen, egal ob Musiker, Veranstalter oder einfacher Raver, streichen die Tatsache heraus, dass seinerzeit erstmals im Nachtleben jegliche Rassen- und Klassentrennung aufgehoben wurde, dass also schwarze Ghetto-Kids neben weißen Fußball-Hooligans neben anzugtragenden Yuppies neben Schwulen tanzten. Dass dort, wo zuvor ein Zusammentreffen solcher Gruppen undenkbar war oder wahlweise zwingend zu Reibereien und Gewalt geführt hätte, plötzlich im gemeinsamen MDMA-Rausch unter dem Banner des Smileys gefeiert wurde. In den Worten von Irvine Welsh: „The ramifications of acid house will be a lot more far-reaching than that of punk, in my view, and a lot more radical. It changed a lot of attitudes about sex, race and class in the space of one generation. A lot of that was ossified in Britain and punk didn’t change it. It took house music, and that’s something I’ll always treasure.“
Nun, ob es wirklich so rosarot war, wie es in der Retrospektive gerne verherrlicht wird, ist natürlich mit Skepsis zu beäugen – vor allem ist eben fraglich, ob wirklich strukturell etwas verändert wurde, oder ob sich die Überwindung der eingefleischten Abgrenzungsmechanismen nicht doch nur auf die Dauer einer berauschten Nacht beschränkte.
We can be heroes – just for one day.
Aber jedenfalls lässt sich auch diesbezüglich der Vergleich mit dem Techno-Boom in Deutschland relativ problemlos ziehen. Als ehemaliger Loveparade-Besucher kann ich zumindest bestätigen, dass das empfundene Gefühl eines friedvollen Get-togethers von sehr unterschiedlichen Menschen durchaus immer einen wichtigen Aspekt am positiven Gesamterlebnis Rave für mich darstellte. Interessant, dass dieser Punkt in der sogenannten links-alternativen Szene so wenig Beachtung fand, die sich ja, auch hier wieder beidseitig des Kanals, größtenteils von der Raverei ferngehalten, sie oftmals sogar verachtet hat. Für mich, der sich ja irgendwie auch diesem Spektrum zurechnet, ist es jedenfalls bis heute ein eher trauriger Befund, dass man sich gerade im Lager der selbsterklärten Weltverbesserer und Völkerverständiger lieber an liebgewonnene Feindbilder und Abgrenzungsriten klammerte, statt das durchaus vorhandene, wenngleich nicht intellektuell reflektierte, revolutionäre Potenzial des ganzen zu begreifen und zu nutzen.
Es sollte allerdings auch allen beteiligten Künstlern klar sein, dass die jeweilige Musik bei all dem eine bestenfalls nebensächliche Rolle gespielt hat. Entscheidend war wohl die Droge.

Um diese heutige, zugegebenermaßen etwas ausgeuferte, Abhandlung nicht gänzlich humorfrei zu beenden, weise ich noch auf ein nettes Schmankerl hin: Das Mixmag verrät seinen Lesern auf der Rezensionsseite nämlich u.a., wie die jeweils vorgestellten Tracks so klingen.
Alcoholic von Popof – it goes: wob wob wob wob
Original von Tiefschwarz – it goes: wibbwibbwibbwibb
Come here
von Johnny L – it goes: dum dum diddle owww
Aerodynamik von Kraftwerk – it goes: vrrr wirr oop oop
Gut zu wissen.

Admin