Dieses Jahr möchte ich mich zum Jahresabschluss mal nicht in erster Linie mit irgendwelchen Hitlisten auseinandersetzen, sondern werde statt dessen versuchen, die musikalische Bilanz 2009 ein wenig thematisch zu gliedern.
Beginnen wir mit
2009 – Das Jahr der Pop-Chanteusen
Nun, einige von mir durchaus geschätzte singende Damen habe ich Ihnen ja bereits im Laufe des Jahres ans Herz gelegt. Ich denke vor allem an Florence and The Machine, The Joy Formidable und La Roux, welche Sie alle drei unbedingt kennen sollten.
Widmen wir uns also heute der derzeit größten und wichtigsten jungen Dame im britischen Popzirkus: Lily Allen
Is it worthwhile?
Lassen Sie mich dazu ein wenig ausholen: Im Jahre 1991 veröffentlichten die Lassie Singers aus Berlin ihre erste Platte, und brachten damit eine der bis heute wichtigsten Bandkarrieren der deutschen Popgeschichte in Rollen.
Drei Mädels Anfang 20 die gleichsam sorglos wie wissend, gleichsam wütend wie gut gelaunt über all das sangen, was Mädels Anfang 20 eben so bewegt und auf den Keks geht,
m.a.W.: Typen.
„Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht, ach, ich kann ihn nicht mehr leiden.
Endlich, endlich wieder frei – bin ich nicht zu beneiden?“ usw. usf.
Songtitel wie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder „Die Pärchenlüge“ hielten, was sie versprachen, und simple Alltagsbetrachtungen à la
„Meine Freundin und ich saßen zusammen
und sprachen über unsere alten Flammen.“
wirkten teilweise wie ein Befreiungsschlag aus der bis dato in Deutschland vorherrschenden Betroffenheitslyrik Grönemeyerscher Prägung.
Warum ich Ihnen das alles erzähle, in einer angeblichen Jahresbilanz 2009?
Weil es sozusagen ein Sinnbild ist für die Musik Lily Allens. Und vermutlich die bestmögliche Erklärung für ihren Massenerfolg – so lange man einen entscheidenden Unterschied nicht übersieht: die Lassie Singers waren indie, aber Lily Allen ist schamloser Radiopop. Insofern haben sich zwar die Sorgen und Nöte einer anfangzwanzigjährigen Großstädterin nicht wirklich geändert in den letzten 20 Jahren, aber die Unbefangenheit, mit der heutige Nachwuchstalente durchaus von Beginn an auch auf die Portemonnaies ihres Publikums schielen, die wäre zur guten, alten Lassie Singers Zeit natürlich noch als übelster Szeneverrat gebrandmarkt worden.
(Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: natürlich behaupte ich nicht, dass Lily Allen die erste junge Dame seit 1991 ist, die diesen thematischen Faden wieder aufgenommen hat – ganz im Gegenteil. Und ebenso natürlich rede ich hier nicht von Plagiarismus. Niemand in Großbritannien, weiß, wer die Lassie Singers sind – 99,3% aller Briten wissen vermutlich noch nicht einmal, dass es in Deutschland überhaupt Musik gibt.)
Jedenfalls war Allens erste Single (Smile aus 2007) eine Eins-zu-Eins-Kopie von „Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht“,
Knock’em Out war die klassische ohmeingottwiewerdichbloßdenekligentypendermichrgeradeangesprochenhatschnellstmöglichwiederlos-Diskothekenkomödie (und nebenbei ein notwendiger aber leider überhörter Fingerzeig in Richtung Mike Skinner, wie das noch mal ging, einen guten The Streets-Song zu schreiben), und die diesjährige Single Not Fair ist die trölfundneunzigste Wiederauflage der alten
Lassies-Weisheit
„Alle netten Mädchen suchen einen wilden Mann,
mit dem ein nettes Mädchen niemals glücklich werden kann.“
Wirklich bemerkenswert aber ist der Entwicklungssprung, den die Allen seit 2007 hingelegt hat. Auch hier wieder parallel zu den Lassies, scheint sie zwischen dem ersten und dem diesjährigen zweiten Album um Jahre gereift und im positiven Sinne gealtert zu sein.
Laben Sie sich an The Fear, einer sowohl nachdenklichen wie humorvollen Selbststudie der Seele einer plötzlich berühmt gewordenen Person.
Es ist, das muss man einschränkend sagen, ihr mit Abstand bester Song.
Es gibt eigentlich keine wirklich schwache Zeile in diesem Lied, aber zwei seien stellvertretend hervorgehoben:
„I am a weapon of massive consumption.
It‘s not my fault.
It‘s how I‘m programmed to function.
(…)
Now I‘m not a saint.
And I‘m not a sinner.
Everything‘s cool
As long as I‘m getting thinner.“
Das ist wirklich brilliant.
Und natürlich auch musikalisch ein Quantensprung im Vergleich zum ersten Album. In der Tat erinnern mich Text und Musik an einen der größten britischen Popstars der letzten 20 Jahre, Mr. Robbie Williams.
Wenn La Allen es schafft, in Zukunft in dieser Güteklasse nachzulegen, dann wird einer ertragreichen Karriere (ertragreich auch für den Hörer) nichts im Wege stehen. Dummerweise hat sie aber unlängst angekündigt, erst mal eine Weile keine Musik mehr zu machen. Oha! Weise ist sie offenbar auch noch…
Zumindest weise genug, um ans Aufhören zu denken, wenn’s gerade am schönsten ist.
Any comments on them girls‘ sexyness?
Well, über Ritzy Bryan von The Joy Formidable weiß man einfach zu wenig, da die Band ja in den Medien fast noch nicht stattfindet. Auf mich wirkt sie angenehm normal. Ich mag „normale“ Leute.
Und sie spielt in einer prima Band. Dummerweise ist der Gitarrist auch ihr Lebensgefährte. Das bringt naturgemäß ein paar Abzüge in der B-Note…
Und bei Eleanor Jackson, der Sängerin von La Roux, scheint mir die ostentative Gender-Losigkeit ja nachgerade Programm zu sein – die Frage scheidet also aus künstlerischen Überlegungen schlicht aus.
Lily Allen und Florence Welch sind beide nicht gerade Fotomodelle, und neigen, jede auf ihre eigene Art, zu merkwürdigen Frisuren. Während Lilys Frisör einen übetriebenen Hang zu pseudo-avantgardistischen Vierkantfrisuren zu haben scheint, trägt Florence ihr Haupthaar zumeist wie ein Siebziger-Jahre-Mitglied des Rateteams von „Was bin ich?“
Aber anders als der ökonomisch durchkalkulierte Plastik-Sex einer Lady Gaga oder Cheryl Cole, strahlen beide eine natürliche weirdness aus, die sie zumindest irgendwie glaubwürdig macht. Und dass sie sich beide trotz der eben erwähnten Nicht-Modelgesichter vor der Kamera gerne dünn anziehen – da habe ich dann auch nichts dagegen.
Mehr Musik aus 2009 in den nächsten Tagen hier im Blog.
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