Innocence Reaches heißt der neueste Longplayer der, sagen wir drittbekanntesten, Indie-Heroen aus Athens (Georgia), die sich immer noch und nun schon bald 20 Jahre, hartnäckiger- und kryptischerweise zugleich, of Montreal nennen (mit betont kleinem „o“, um auch dem letzten Begriffsstutzigen ihre Artyness unter die Nase zu reiben, als ob das bei dieser gleichermaßen feinsinnigen wie verschrobenen Musik noch irgendwie zusätzlich nötig wäre).
Leider haben sie, wie fast alle anderen Indie-Bands weltweit, mittlerweile die Gitarren größtenteils gegen meist klebrige Keyboards eingetauscht. Was in guten Momenten, wie dem mit (pseudo?)-pathetischem Gender-Quatsch becircenden It’s Different For Girls nicht weiter stört, und da, wo noch nach bewährtem Muster musiziert wird, ist es auch gleich gewohntermaßen hervorragend (siehe Gratuitous Abysses). Manchmal wird es gar zu weird, etwa auf Trashed Exes, wo sie klingen wie eine Kreuzung aus frühen Pavement und Duran Duran, aber dann kann man wenigstens immer noch herzhaft drüber schmunzeln. Sicherlich nicht ihr bestes Album, aber immer noch deutlich interessanter als das meiste, was man heutzutage vorgesetzt bekommt.

2014 hatten Von Wegen Lisbeth aus Berlin ihren Facebook/Instagram-Hit Sushi (Lenin berichtete), schafften es mit einem anderen Song aus ihrer EP gar in die Jahres-Top-20 dieses Blogs, doch dann dauerte es merkwürdigerweise erstaunlich lange, bis neulich ihr erstes komplettes Album Grande in den virtuellen Regalen lag. Und es ist leider eine Enttäuschung. Offenbar hat die Band jenseits von Facebook und Smartphones textlich ernüchternd wenig zum besseren Leben beizutragen. Bzw. hat ihnen wohl die Plattenfirma dringend angeraten, den einmal erfolgreich beschrittenen Pfad kräftig weiter auszulatschen.
„als Dein I-Phone sehr grazil
in den Landwehrkanal fiel“,
solche Schoten halt. Das reicht für eine gute 2 in Sittengemälde der Zeit (durchaus eine wichtige Funktion der Popkultur), aber zieht eine 6 in Transzendenz wegen völliger Abwesenheit nach sich. So kommt es, dass ihr 2014 noch irgendwie angenehm schelmisch daherkommender Tinder-Pop auf Albumlänge plötzlich schal und kindlich, um nicht zu sagen kiez-muffig, belanglos und teilweise reaktionär (siehe z.B. Meine Kneipe) wirkt. „Flach und aus Milch“, wie es die nicht unähnlichen, aber knackigeren Münsteraner Samba vor zwanzig Jahren auf deren Erstling Zuckerkick treffend formulierten. Schade. Ich vermute allerdings immer noch, dass diese Band viel mehr Potenzial hat, als sie auf Grande zeigen durfte. Wird sich zeigen müssen.

Links:
of Montreal – Gratuitous Abysses
of Montreal – It’s Different For Girls
Samba – Flach und aus Milch

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