Wenn einer eine Lesereise tut, dann kann er was erleben.
Besonders im Vorfeld.
Galt es doch, den horrenden Preis für die noble Leihlimousine durch die Aquise zahlreicher Mitfahrer wenigstens halbwegs psychologisch verkraftbar zu gestalten.
(Offensichtlich ist die Nachfrage nach Miet-Limousinen deutlich höher als etwa die nach Miet-Apfelsinen oder Miet-Melusinen, aber das nur nebenbei.)
Jedenfalls war das ca. eine Woche währende andauernde Mailen und Telefonieren mit potenziellen Mitfahrern ein großer Spaß, nicht zuletzt durch die herrschende babylonische Sprachverwirrung. Nach Brüssel wollen eben doch Menschen aus ganz Europa, und aus Brüssel wieder weg folgerichtig auch.
So schrieb etwa ein gewisser Miran Zahovic (alle Namen von der Blogverwaltung geändert):
„We are two exchange studendts from Slovenia and we are intrested to travel with you
to Frankfurt on friday.“
Da ich nicht so „intrested“ war, antwortete ich wahrheitsgemäß:
„Sorry, Miran, not possible
a) because the car is already booked
b) because I‘m not going to Frankfurt but to Brussels“
René van Clijsters meldete sich mit folgendem Anliegen:
„My cousin and I (I’m Belgian so I talk Flemish,French,English and a bit of Deutsch) would like to go to Köln as we would like to catch the footballmatch Germany vs Chile.“
Catch the Match – das brachte zwar die lyrische Seite in mir zum Schwingen, doch auch diesem Zeitgenossen musste ich am Folgetag leider absagen:
„hi René,
as I didn’t have any more free seats in the car,
I made them cancel the match, so that you don’t miss anything.
cheers,
Jens“
Was der Gute seinerseits natürlich auch nicht unkommentiert im Raum stehen lassen wollte:
„Thanx a lot mate, but did you really have to kill the poor guy?“
Tja, wir Fußballfreunde sind schon ein gar heiterer Verein, nicht?
Alison aus Derbyshire schickte mir folgende sympathische SMS:
„halo, musse fahr to brussel freitag. Sorry, my German is so crap, I’ll continue in English. (…)“
Diese nette Respektlosigkeit brachte mich selbstredend zum Schmunzeln. So sehr, dass ich sie einem Arbeitskollegen zeigte, der vorschlug, wie folgt zu antworten:
„Hi Alison, there’s plenty of free seats in the car.
But I’m a Nazi, so you’re out.“
Was ich mich dann aber natürlich nicht traute.
Immerhin konnte sie noch besser Deutsch als der Anrufer aus Brüssel Englisch, welcher mich am nächsten Tag anrief. Dieser sprach nur französisch,
but you know, my French is so crap, that I was rather he wrote me an E-Mail. So I went:
– „Send me an E-Mail!“
– „Pardon?“
– „Please, send me an E-Mail!“
– „Pardon?“
– „SEND ME AN E-MAIL!“
– „Je ne comprend pas.“
– „God. Send me an angel!“
Dann legte ich auf. Ich meine, diesen Satz versteht man doch auch, wenn man zuvor noch nie ein Wort Englisch im Leben gehört hat, oder etwa nicht? Jedenfalls möchte man ja Leute im Auto haben, mit denen man sich wenigstens über die absoluten Basics verständigen kann.
Anja aus Wetzlar wollte hauptsächlich mitfahren, weil „ich sonst am Freitag noch eine Klausur schreiben muss, für die ich aber noch gar nicht gelernt habe.“
Nix da, Anja!
No way José!
Hier konnte ich aktiv helfen, den Bildungsnotstand im Land ein wenig zu entschärfen, denn die Karre war schon voll.
Also: Hefte raus! Klassenarbeit!
Alle, die dann wirklich mitgefahren sind, waren übrigens voll knorke, und allein dafür hat sich natürlich der ganze Kommunikationsstress im Vorfeld gelohnt.
Die meisten Menschen sind eben doch immer noch halbwegs nett, sympathisch und bei Sinnen. Gut das.
Lesung und Auflegerei waren super. Der tausendfache Dank gilt wie immer den organisierenden Zauberfeen vor Ort. Und dem netten Publikum.
Ich hoffe, dass ich Ihnen, liebe Leser, in den nächsten Tagen noch ein paar Fotos nachreichen kann.
Das sind ja zauberhafte Bewältigungsstrategien!
Wenn es mich nach unnötigen internationalen Missverständnissen dürstet, fahre ich (aus Zeitgründen) nicht mit Ausländern ins Ausland, sondern gehe zu meiner Lieblingsklopsbraterei.
Dort führe ich seit vielen Jahren mit dem Mann mit Papierhut (im Folgenden „MmP“ genannt) einen streng festgelegten Dialog, von dem keiner der Dialogpartner je auch nur eine Silbe abgewichen ist.
Ich: „Einen Hamburger Royal TS und eine kleine Pommes zum hier essen, nein, kein Menü, einzeln bitte.“
MmP: „Normal oder TS?“
Ich: „TS.“
MmP: „Kleine, mittlere, große Pommes?“
Ich: „Kleine.“
MmP: „Mitnehmen oder hier essen?“
Ich: „Hier essen.“
MmP: „Getränk?“
Ich: „Ich bin nicht durstig.“
MmP: „Was?“
(Schweigen).
MmP: „Nehmen Menu, ist mit Getränk, ist billiger.“
Ich: „Nein.“
Ich pflege meinen Junk-Food-Spiegel ja eher in der türkischen Braterei auf Level zu halten. Und auch in jedem Döner-Laden spielt sich seit Generationen ein immergleiches Kommunikationsritual ab. Nachdem der leckere Lahmacun mit einem viel zu großen Löffel weißer Soße zugepanscht wurde, auf dass ebendiese schon etwa zur Hälfte des anstehenden Essvergnügens am unteren Ende der Teigtasche wieder raussuppt, um des Essenden Hände und Klamotten vollzusyphen, fragt der Dönerbudenmann:
„Bisje schaf?“
Das klingt zwar wie ein jiddisches Bonmot, soll ihm aber lediglich den Freibrief geben, auch noch eine ebenfalls übergroße Menge eines teuflisch scharfen, roten Pulvers über die Köstlichkeit zu streuen.
„Ja, ein BIßCHEN.“, antwortet man, mit ostentativer Betonung des letzten Wortes, woraufhin die immergleiche, wie gesagt, übergroße Menge des diabolischen Chilis über den Matsch gestreut wird, und die türkische Pizza ist endgültig ungenießbar.
Nach einigen Jahren lernt man, die Frage grundsätzlich mit nein zu beantworten, was aber ja eigentlich schade ist, denn ein bißchen scharf hätte es ja ruhig sein dürfen.
Tja…
Chapeau! Habe lange nicht mehr so herzlich gelacht wie bei dieser schönen Geschichte (die ich sogar vorab vom Autor höchstpersönlich berichtet bekommen hatte, aber so pointiert aufgeschrieben war es doch etwas anderes und wieder sehr erheiterend). Hat absolut das Zeuch für eine Ausarbeitung als Kapitel für Mukkefuck und Schrippen II!