Ich möchte Ihnen heute eine Fußballgeschichte erzählen.
Sie spielt im Frühsommer 2005 und in einer coolen Fußballkneipe in Köln.
Ja, Köln ist ein dermaßener fuckin‘ Meltingpot aller möchtegernschönen Jugendlichen (MGSJs) dieses Landes, dass es dort sogar coole Fußballkneipen gibt!
Nun, ich weilte dort – es handelte sich um den letzten Spieltag der damaligen Zweitligasaison – um dem herbeigesehnten Aufstieg meines Heimatvereins live beizuwohnen. Was in Köln widerum möglich ist, da es unter Einheimischen nicht besonders en vogue ist, FC-Fan zu sein, und sich darüberhinaus stets genug der oben erwähnten MGSJs aus aller Herren Herkunftsorten in der Stadt befinden, die zwar ihre ursprüngliche Heimat temporär verlassen haben, ihrem Lieblingsverein aber selbstredend treu geblieben sind.
Mit anderen Worten: Obgleich auf dem Hauptbildschirm das Köln-Spiel läuft, laufen auf einigen der Nebenbildschirme auch andere Matches bzw. die Konferenz.
(Für ganz Begriffsstutzige: natürlich hätte man das Spiel auch hier in Frankfurt schauen können, aber ich befand mich nunmal an diesem Tag gerade in Köln.)
Also, wie Sie vielleicht wissen, ist die Eintracht an diesem Tag aufgestiegen. Es war keine größere Sache, relativ unspannend, weil ziemlich schnell unter Dach und Fach. Gut so. Entsprechend habe ich mir aber auch reichlich wenig behalten, kann Ihnen jetzt hier und heute blasphemischerweise nicht mehr Ergebnis und Torschützen, ja noch nicht einmal den damaligen Gegner nennen.
In Erinnerung habe ich stattdessen folgendes:
Unter den etwa 150 Besuchern der Lokalität befand sich auch ein Mensch, der offenbar ultra- und die-hard-Anhänger von „LR Ahlen“ war.
Kein Druckfehler! „LR Ahlen“!
Äh, hallo? Das war neu. Es gibt (gab) Fans von „LR Ahlen“!
Nicht, dass die Person einen Schal in den Vereinsfarben o.ä. getragen hätte, aber irgendwann, wohl so Mitte der zweiten Hälfte, schoss Ahlen, für die es an diesem Tag scheinbar darum ging, nicht aus der zweiten Liga abzusteigen, ein Tor. Ein Tor, dass auf keinem der Bildschirme live zu sehen war – das Ahlenspiel war für alle anderen Menschen auf der Welt derart uninteressant, dass es im Grunde nicht mal in der Konferenz Erwähnung fand – es wurde also eigentlich nur das Ergebnis eingeblendet. Woraufhin dieser Typ laut jauchzend aufsprang, die Fäuste in die Luft reckte und einen kleinen Freudentanz vollführte.
Als einziger im gesamten Lokal.
Von 149 anderen angestarrt.
Die daraufhin in wahlweise grimassierendes Kopfschütteln oder herzhaftes Gelächter ausbrachen. (Der Typ sah zu allem Überfluss, aber nicht ganz unpassenderweise, nicht besonders trendy aus, und war auch schon in einem für das Etablissement etwas zu hohen Lebensalter.)
Die gleiche Szene wiederholte sich noch einmal nach Schlusspfiff.
Alle anderen Gäste waren bereits am Gehen oder zumindest am Zahlen, sowohl Köln als auch Frankfurt waren längst durch, als, wiederum nur als Einblendung, das Endergebnis des offenbar bis zum Schluss auf des Messers Schneide stehenden Spiels der Ahlener gezeigt wurde (wherethefuck is Ahlen?, und vor allem: was zum Teufel bedeutet LR???).
Wieder sprang der Typ, laut „Jaa!“ brüllend, von seinem Stuhl auf und hielt die geballte Faust einige Sekunden lang triumphierend in die Luft.
Alleine.
Umgeben von einer Hunderschaft szeniger Jungkölner, die zu dieser Zeit gerade ihre Jacken suchten, auf dem Handy bereits mit Kumpels über den Spieltag diskutierten, oder der Bedienung gerade ihre Deckel reichten.
Wo der Typ also bei seinem ersten Auftritt wenigsten noch ausgelacht wurde, so nahm nun, beim zweiten und für ihn erlösenden, noch nicht ein Mal irgendjemand Notiz von ihm. Alleine stand er in einer Masse von Menschen und bejubelte den Nichtabstieg von, ich wiederhole es gern: „LR Ahlen“.
Skurril.
Es gibt drei Gründe, warum ich diese Geschichte erzähle.
Erstens: Der Typ wurde zwar ausgelacht, bzw. später schlicht ignoriert. Aber er hat nichts von all dem mitbekommen. Nicht, weil er betrunken war, sondern weil er sich auf einem komplett anderen Bewusstseinsplaneten befand, verstrickt in die vermutlich größte emotionale Anspannungssituation seines Lebens, gegen die jede Diplomprüfung oder das erste Mal Sex oder wasauchimmer herzfrequenzmäßig ein unbedeutender Klacks gewesen waren.
Das zur immer mal wieder nötigen Erklärung für alle Nicht-Fußballfans, was Fußball mit dem homosapiens männlicher Ausprägung anzustellen im Stande ist. Er verwandelt uns regelmäßig in komplett unzurechnungsfähige und zugleich existenzbedrohte (der Kreislauf!) Vollprimaten. Die Würde des Menschen ist definitiv antastbar!
Zweitens: Derlei Verhalten wird qualitativ nicht dadurch humaner, dass man einem etwas weniger absurden Verein anhängt. Es fällt dann nur nicht so auf.
Und drittens: Sagt uns diese Geschichte, da bin ich mir sicher, auch etwas ganz wichtiges über den Fußball hinaus. Über die Menschen und die Welt und das Leben.
Irgendwas Philosophisches.
Ich bin bloß noch nicht dahinter gekommen, was.
Überflüssig zu erwähnen, dass Ahlen dann halt im Folgejahr sang- und klanglos abgestiegen ist. Ob der arme Kerl wieder live dabei war? Unter ähnlich erbärmlichen Randbedingungen? Ob er geweint hat?
Nächste Woche ist endlich wieder Bundesliga. Wie schön.
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