Eine Art Vorabbericht zum nun seit einer Woche erhältlichen Beady Eye-Album Different Gear, Still Speeding hatte ich Ihnen ja bereits präsentiert. Jetzt ist es also an der Zeit für das amtliche Album-Verdikt.
Andere waren natürlich schneller – in allen einschlägigen Medien (Zeit, Spiegel, laut-de., intro) kann man bereits nachschlagen, wenn einem nach ein wenig Liam-Bashing zu Mute ist. Denn so richtig begeistert wagt sich kaum einer zu sein, vom nun endlich in Gänze vorliegenden Longplayer der Ex-Oasis-Mannschaft.
Die Zeit etwa meint:

„Das Album als Bühne eines notorischen Rockstars: Different Gear, Still Speeding besitzt all das, was eine große Rockplatte haben sollte – und bleibt dennoch sensationell blass. Der talentierte Sänger mit der modernistischen Playmobil-Frisur trifft den Ton, der Millionen anrührt, und hat doch kaum mehr mitzuteilen, als ein Marmeladenreklame-Entertainer in der Werbung zur Hauptsendezeit. »Baby hold on / Baby come on / Baby come on / You’re gettin’ up, gettin’ up«, singt Gallagher in Bring The Light, einem frei herunterladbaren Album-Teaser, der britische Kritiker schon zu der Bemerkung veranlasste, Beady Eye hörten sich wie Status Quo an, die einen Kinks-Song spielten.“

Und auf Spiegel-Online lesen wir folgendes:

„warum zu Hause sitzen, wenn man noch Songs herumliegen hat, die zwar „Standing On The Edge Of The Noise“ (!) heißen, aber wie „Get Back“ klingen? Auch „Instant Karma“, „Far Far Away“ und „Let’s Spend The Night Together“ werden von Gallagher „belehnt“. Bei Oasis hatte das Methode und war nicht weiter verwerflich, da das Songmaterial geraume Zeit zu überzeugen wusste. Der redundant und bräsig vor sich hin dengelnde Pub-Rock aber, zu dem Liam allen Ernstes „I’m gonna stand the test of time/ Like Beatles and Stones“ lallt, lässt einen in knappen drei Minuten um Jahre altern. „Wind Up Dream“ hätte Noel verhindert, „Four Letter Word“, das wirklich hübsche „Millionaire“ und die milde Psychedelik von „The Beat Goes On“ sind immerhin geglückt. Doch noch während das schale „Three Ring Circus“ lief, wagte ich einen Blick aufs Handgelenk. Die Worte auf der Armbanduhr waren unmissverständlich und erlaubten keine Hoffnung: „You’ve just turned 67.“

Klar, meckern ist immer die einfachere Lösung, das Lesepublikum zu befriedigen, und dass es sich beim vorliegenden Werk um eine „Nonstop-Retro-Schleife“ (Zeit) handelt, sollte nun nicht wirklich irgendjemanden verwundern. Dass Noels weggefallenes Songwritingtalent sich nicht mirnichtsdirnichts durch strebsame Kollektivbemühungen der Herren Gallagher jun., Bell und Archer kompensieren lässt, war ebenso absehbar. Wobei es im vorliegenden Resultat eher Liams mitunter recht einfältige Texte sind, die den negativen Unterschied ausmachen. Eine Überdodis hohles Rock-n-Roll Phrasengedresche, welche ein wenig peinlich rüberkommt – insbesondere wenn man bedenkt, dass der jüngere der Gallagher-Brüder inzwischen auch schon stramm auf die 40 zumarschiert.
Und ja, es stimmt auch, dass mindestens zwei Nummern zu viel auf dem Album sind, die sich einem gar zu simplen Boogie-Rock-Schema bedienen.
Aber im Ganzen ist Different Gear, Still Speeding dann doch erstaunlich gut, und vor allem deutlich besser, als auch ich nach den ersten Vorabreleases erwartet hatte.
Der ewige Plagiatsvorwurf, der schon zu Oasiszeiten mit jeder neuen Platte fröhliche Urständ unter der Rezensionistenschar feierte, greift seit jeher ins Leere. Und misst obendrein mit zweierlei Maß:
Wenn amerikanische Kapellen zum trölfundneunzigsten Mal am Zwölftakter des Rhythm-n-Blues entlangpoltern, ist häufig respektvoll von „Roots-Rock“ die Rede. Für alle Spielarten der britischen Popmusik sind aber nun mal die Roots ganz andere, nämlich Beatles, Kinks, Stones und Konsorten, Psychedelia, The Jam und Manchester-Rave, ja für heute ganz junge Bands sind vermutlich Oasis selbst eine der wichtigsten Wurzeln. In diesem Sinne machen Beady Eye also Roots-Pop im beinahe bestmöglichen Wortsinn.

Interessanterweise klingen zwei der schönsten Songs auf dem Album (Millionaire und For Anyone) stark nach der zweiten Band von Schlagzeuger Chris Sharrock: The La’s!
Und das, darf man mal annehmen, ohne dass sich Herr Sharrock (lange Jahre auch Toudrummer von Robbie Williams) selbst an der Kompositionsarbeit beteiligt hätte.
Wie schon zu Oasiszeiten darf Andy Bell für eine Nummer in psychedelischer Epik baden (Wigwam) und macht das formidabel.
Und die schöne Ballade Kill For A Dream klingt wie ein zu Unrecht liegengebliebener Song aus den Heathen Chemistry-Sessions von Anno 2002.
Wind Up Dream und Three Ring Circus sind die einzigen wirklich flachen „Filler“ der Platte, Beatles And Stones und Standing On The Edge Of The Noise hätte die Welt auch nicht unbedingt gebraucht (hier greift die oben gefallene Vokabel des Pub-Rock-Gedengels), aber der große Rest darf sich durchaus gelungen nennen. Soll heißen: acht gute Songs auf einem Album – das ist mehr als die meisten Veröffentlichungen zu bieten haben. Womöglich haben die Rezensenten ja einfach nicht genug Geduld bewiesen. Denn, in der Tat, die Platte beginnt mittelmäßig und steigert sich „nach hinten raus“. Und das ist zumindest mal besser als andersrum. Es fehlt allerdings, auch das muss gesagt werden, eine wirklich herausragende Single.
Besser als die Songs ist die Produktion von Altmeister Steve Lillywhite. Er schafft die Quadratur des Kreises, den Stücken einen modernen HiFi-Ansprüchen gerecht werdenden Sound zu verpassen, und dem Hörer trotzdem das Gefühl zu verleihen, alles sei auf Original-Instrumenten aus dem Lagerraum 68 der Abbey-Road-Studios aufgenommen, und George Martin persönlich habe an den Reglern gesessen. Chapeau!

Dig Out Your Soul, die letzte Oasis-Scheibe, war insgesamt lahmer. Heathen Chemistry und Don’t Believe The Truth waren besser. Das ist ein ziemlich knappes 2-1 für Noel.
Und den versammelten Miesepetern von Zeit, SPON und Co. sei zumindest eins vorgehalten: Wäre Different Gear, Still Speeding das Erstlingswerk einer Newcomerband, hätten sich alle in Lobeshymnen überschlagen.
Darauf verwettet seinen Arsch,
Ihr Lenin

P.S.:
Links gibts latürnich auch noch; sie sollten allerdings schnell reinhören – vermute dass die meisten nicht besonders lange auf YouTube verfügbar sind:
Wigwam
Kill For A Dream
The Beat Goes On
Millionaire

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